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"Sonst bist du dran!"
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Bericht von Jürgen Falk, Grundschule Horsthausen

 

 

Ein Fall von erpresserischer Gewalt in der Grundschule

Rahmendaten zum Projekt

Projektzeitraum:
November 1998
Genutztes Medium:
Lern- und Arbeitsbereich "Friedensfähigkeit"
Beteiligte Schulen:
5 nordrhein-westfälische und zwei südtiroler Grundschulen
Ausstattung:
Medienecken im Klassenraum;
in der Horstschule ein Internetanschluss im Verwaltungszimmer

 

Die Erzählung von Renate Welsh, in der erpresserische Gewalt in einer Grundschulklasse beschrieben wird, wird als Ganzschrift im Spracheunterricht gelesen. Die Gewaltphänomene werden sowohl in Kleingruppen in der Klasse als auch international auf dem Formum bzw. am Schwarzen Brett diskutiert. So werden einerseits im Spracheunterricht vielfältige Texte angeregt, die sich aus der Sache ergeben und gleichzeitig wird andererseits "Kommunikation" als Gewaltprävention geübt.

Der Bericht erfolgt aus der Sicht einer 4. Klasse der Horstschule in Herne. Der Unterricht fand im Rahmen des regulären Spracheunterrichts statt. Hier sollte das Buch "Sonst bis du dran!" von allen Kindern als Ganzschrift gelesen werden. Mit dem Lesen von kleineren Ganzschriften hatten die Kinder bereits Erfahrungen gesammelt. Die Kinder kannten ebenfalls die Arbeit mit dem Computer und mit Hypermedia-Arbeitsumgebungen. In diesem Projekt wurden sie aber zusätzlich in die Navigation der Mediothek als auch in die Nutzung der Eingabemaske des Schwarzen Brettes eingeführt. Im Besonderen wurde ihnen die Nutzung der Mediothek an den Fallbeispielen "Sonst bis du dran!" und "Streit um die Wippe" gezeigt.

Situativer Einstieg in das Thema

Ein Gesprächskreis über einen konkreten Anlass, nämlich der Dauerkonflikt der Klasse mit einem Mitschüler, eröffnete die erste Unterrichtseinheit. Und andere Bösartigkeiten, die man einander zufügt, ergänzten die Darstellungen und Gespräche in dieser Runde. Zu Beginn der folgenden Stunde wurde den einzelnen Tischgruppen das Buch "Sonst bist du dran!" gegeben. Die Schüler konnten sich mit dem Thema, der kurzen Inhaltsangabe und der Bebilderung auseinandersetzen. Im anschließenden Gesprächskreis wurde das weitere Vorgehen besprochen und Einigkeit darüber erzielt, dass jede Gruppe ein Kapitel vorzubereiten und die Gesprächsführung beim gemeinsam Lesen und Besprechen des Textes zu übernehmen hätte. Diese Gruppe sollte dann auch Meinungen und Einstellungen dazu für das Schwarze Brett entwerfen. Weiterhin wurde festgelegt, dass im Wechsel je eine Gruppe sich im Verwaltungszimmer, außerhalb der eigentlichen Unterrichtsstunde, am Schwarzen Brett informieren sollte, d. h. den aktuellen Stand lesen und der Klasse mitteilen sollte. Dabei sollten sie auch auf Beiträge achten, die für die ganze Klasse von Bedeutung sein könnten, um evtl. darauf mit einem Beitrag reagieren zu können.

Verlauf der Unterrichtseinheit

Die Begeisterung der Schüler war groß, als sie erfuhren, ein Buch ganz lesen zu dürfen, das auch sehr spannend zu sein schien. Da aber das Buch nur als halber Klassensatz zur Verfügung stand, ergab sich im Gespräch und nachdem die vorhandenen Bücher durchgeblättert worden waren, dass jeder aus jeder Gruppe einmal das Buch mitnehmen und zu Hause ein Kapitel lesen sollte. Das sollte auch die Grundlage für Besprechungen im Unterricht sein, wobei das "vorbereitete" Kind der Experte für das Gespräch in der Klasse sein sollte. Als in der darauf folgenden Stunde das erste Kapitel gelesen wurde, war die Bestürzung der Kinder groß. Der Vorfall, dass Arnolds Kopf in die Kloschüssel gedrückt wurde (siehe Zitat aus dem Buch von Renate Welsh), rief Abscheu und Ekel hervor, und alle bekannten einmütig, dass sie ja auch viel Quatsch machten, aber so etwas (so wurde an dieser Stelle noch spontan formuliert) wäre niemand in den Sinn gekommen.

"Aus der Nachbarkabine tönte ein Schrei und dann ein Geräusch wie Gurgeln, ein scheußliches Geräusch. Michel zerrte am Reißverschluss seiner Hose, sein Hemd war eingezwickt. Er zog den Pullover so weit hinunter wie möglich und öffnete die Tür. Da standen fünf oder sechs Jungen aus seiner Klasse, johlten und grölten, Rücken an Rücken dicht gedrängt. Plötzlich aber öffnete sich ein Spalt und Michel sah Arnold über die Klomuschel gebeugt, von Bertram und Klaus an beiden Schultern festgehalten. Wo war sein Kopf? Der steckte in der Muschel! Von dort kam das Gurgeln und Keuchen. ......" Zitat aus dem Buch von Renate Welsh

Wegen der vorherrschenden Bestürzung unter den Kindern wurde dieses erste Kapitel sodann unter einfühlsamer pädagogischer Beratung des Lehrers in der Klasse besprochen und dann auch zum Anlass genommen, den folgenden Bericht ans Schwarze Brett zu schreiben:

Wir haben über den Titel des Buches "Sonst bist du dran !" gesprochen und herausgefunden, dass dieser Satz gesagt wird, wenn jemand bedroht oder erpresst wird. Wir haben uns in Gruppen aufgeteilt und überlegt, wie die Geschichte wohl weitergehen könnte. Zuerst aber eine Frage: Solch ein Vorkommnis wie in dem Buch, dass ein Kind mit dem Kopf in die Kloschüssel gestülpt wurde, ist bei uns zum Glück noch nicht passiert. Ist so etwas Schlimmes schon mal bei euch passiert ?
So könnte die Geschichte in dem Buch unserer Meinung nach weitergehen:

  1. Vielleicht holt der Arnold Freunde aus der 5. Klasse und lässt die beiden Täter, Klaus und Bertram, verprügeln.
  2. Michel, der unbeteiligte Zeuge, hält sein Schweigen nicht mehr aus und verrät am nächsten Tag der Lehrerin, wer die Täter waren. Daraufhin wird er von einer Bande verkloppt.
  3. Die Lehrerin bekommt die böse Tat heraus und Klaus und Bertram erhalten Schulverbot.

Es grüßen euch Carina, Pamela, Tobias und Stefan, Klasse 4b der Horstschule, Herne

Eine Antwort kam am übernächsten Tag. Die Kinder aus Geiselsberg in Südtirol reagierten mit folgendem Text:

Wir haben über den Vorfall im Klo gesprochen, und wir haben uns mit der Frage beschäftigt, ob bei uns auch mal so was ähnliches passiert ist. Bei uns ist voriges Jahr auch mal so was ähnliches passiert. Zwei Buben haben einen Mitschüler unter den Wasserhahn gesteckt und das kalte Wasser aufgedreht. Dem einen Schüler hat niemand geholfen. Die anderen Schüler haben nur zugesehen, bis ein Mädchen zu einer Lehrperson gegangen ist; dann hat eine Lehrperson eine saftige Strafe gegeben. Folgende Fragen haben wir:

  • Wie hätten die Schüler in eurer Klasse reagiert?
  • Wie hätten die Lehrpersonen in eurer Klasse reagiert?

Lukas, Armin und Christoph - Grundschule Geiselsberg, Südtirol

Ein Beitrag kam auch von den Schülerinnen und Schülern der Donkschule aus Duisburg.

Hallo! Wir sind Anna Lena, Selina, Christian und Stefan aus der 4.Klasse der Donkschule in Duisburg. Wir haben eure Beiträge zum Thema Gewalt gelesen wir möchten folgendes dazu schreiben: wir finden, dass man eine Menge mit Worten regeln, kann! Bis auf manche Dinge, die nur Lehrer regeln können. Zum Beispiel: über Drohungen mit Messern oder Erpressungen um Geld. Man sollte unbedingt einem vertrautem Menschen sagen, wenn man bedroht wurde.

Eure Klasse 4 b!

Aus dieser "Eröffnungsrunde" am Schwarzen Brett leiteten sich in der Horstschule intensive und aufgeregte Gespräche über wirklich bösartige Streitigkeiten ab, die man sich auch hier, wie jetzt zum Vorschein kam, vereinzelt gegenseitig zufügt. In dieser Folge wurde im Klassenverband unter sensibler Moderation des Lehrers über Streitschlichtungsverfahren gesprochen und es wurden solche Umgangsformen verabredet, die Gewalt verhindern können.

Da einige Kinder dieser Klasse auch in der Zeitungs-AG mitarbeiten, die monatlich eine Schülerzeitung erstellt, kam der Wunsch auf, über dieses Projekt einen Bericht zu schreiben.

Horstschule im Internet
Seit Oktober 1998 hat die Horstschule einen Internet - Anschluss. Unsere E-Mail-Adresse lautet: Horstschule@cityweb.de
Im November haben wir an einem Schulversuch teilgenommen, wo es darum ging, dass wir uns mit anderen Schülern aus anderen Städten über Gewalt in der Grundschule ausgetauscht haben. Dazu haben wir das Buch "Sonst bist du dran" gelesen und unsere Meinung dazu ins Internet gestellt. Die anderen Schüler haben darauf geantwortet und weitere Fragen gestellt, die wir wiederum versucht haben zu beantworten.
So geht die Geschichte weiter: Auf dem Heimweg erlebt Michel im Park, dass Arnold wieder das Opfer ist. Michel wird entdeckt und mit den Worten bedroht: "Sag bloß nichts, sonst bist du dran". Er trägt das Problem mit sich herum , wird unruhig , ängstlich und krank. Am nächsten Morgen wird er in der Schule von Bertram aufgefordert, in der Bande mitzumachen. Wir überlegen jetzt: Wie fühlt sich Michel? Soll er seinen Eltern was sagen oder der Lehrerin? Soll er in der Bande mitmachen? Wir sind ganz gespannt, wie die Geschichte weitergeht.
Ina, Özkan, Steffi, Nadine und Sacide aus der Klasse 4b der Horstschule

Im Foyer des Lern- und Arbeitsbereiches "Friedensfähigkeit" lässt sich der gesamte damalige Ablauf der "Gespräche", die Kinder am Schwarzen Brett geführt haben, ablesen.

Im Laufe der Unterrichtseinheit ergab sich schließlich der Wunsch, das Buch als Theaterstück aufzuführen. Die Diskussion darüber stellte aber klar, dass damit große Schwierigkeiten verbunden sind. So wurden Alternativen gesucht und die Klasse kam auf die Idee, Standbilder von einzelnen Szenen darzustellen. Alle Kinder sollten mitwirken. Die Rollen wurden verteilt und die Standbilder festgelegt.

Von den Standbildern hier wieder nur ein Auszug:

Über der Kloschüssel
Bertram und Klaus halten Arnold an beiden Schultern und drücken sein Gesicht in die Kloschüssel. Michel sieht dies und sagt nichts.
Im Park 1
Michel sieht Arnold in einem Kreis stehen, der von Klaus, Bertram, Fanny und anderen gebildet wird. Dort wird Arnold von jedem ins Gesicht geschlagen. ...
Zu Hause
Michel liegt krank im Bett, die Eltern kümmern sich liebevoll um ihn. Betroffenheit in der Klasse Frau Hafner liest die Gewaltzettel vor. Die Schüler sitzen betroffen auf ihren Stühlen. ...
Gemeinschaftsarbeit
Die Klasse arbeitet gemeinsam an einer Patchwork-Decke. Michel und Arnold Michel überreicht Arnold den Schal.

In Kleingruppen beschäftigten sich die Schüler mit der pantomimischen Darstellung, die noch einmal die Ganzschrift in anderer Weise aufarbeitete. Dabei stellten die Kinder fest, dass sie fast alle sehr große Schwierigkeiten hatten, ihre Gefühle durch Körpersprache auszudrücken.

Dann war es endlich soweit. Die anderen Klassen wurden zur Aufführung der Standbilder eingeladen. Ein Kind übernahm die Rolle des Vortragenden, der die Gäste begrüßte und die einzelnen Standbilder erläuterte. Nach der Vorführung hatten die Gäste Gelegenheit, nachzufragen oder ein kurzes Gespräch zu führen. Von der Parallelklasse kam der Wunsch, das Buch auch zu lesen. Aber eine Krönung des Ganzen war, dass die Kinder auch ihren Eltern das Stück zeigen konnten.

Resumee:

Die Kinder führten viele ernsthafte Gespräche in Kleingruppen, in der Klasse und auch am Schwarzen Brett zur Lösung und Verhinderung von Gewalt. Es gab viele Ideen, Streit zu vermeiden und sich wieder zu versöhnen. Insgesamt waren die Kinder hochmotiviert und engagiert bei der Sache, aus der sich viele Lese-, Schreib- und Darstellungsideen ergaben. Der Arbeitsbereich "Friedensfähigkeit" in learn-line eröffnete den Kindern neue mediale Möglichkeiten, sich mit der Thematik von Gewalt zu beschäftigen. Sie haben damit eine Adresse im Internet, die durch pädagogisch gestaltete Informationen anregt, sachgerecht informiert und zur überregionalen Kommunikation auffordert.

           

© Pädagogisches Institut der deutschen Sprachgruppe - Bozen - 2000