Auf dem Weg zur interkulturellen Öffnung

Multikulturalität als alltägliche Herausforderung von Kindergarten und Schule

Für Kinder und Jugendliche sind Bildungseinrichtungen, in denen sie viel Zeit verbringen, Teil ihrer Lebenswelt. Sie erleben dort tagtäglich kulturelle Vielfalt. Wie groß aber ist die Offenheit von Kindergärten und Schulen, um die Dimension der interkulturellen Bildung in ihr pädagogisches und didaktisches Konzept zu integrieren?

von Otto Filtzinger

Kinder und Jugendliche haben in den Bildungseinrichtungen real und über Medien virtuell Zugang zu anderen Kulturen. Während junge Menschen Multikulturalität als Normalität erleben, der sie unbefangen begegnen, wird diese im gesell-schaftlichen Bewusstsein eher als normalitätsverändernder Vorgang registriert. Erwachsene sehen deshalb nicht nur im gesellschaftlichen Leben, sondern auch in den von ihnen geprägten Bildungseinrichtungen kulturelle Vielfalt häufiger als Problem denn als Reichtum an.

Bildungspotenzial kulturelle Vielfalt

Die demografische Kategorisierung der Einwandererfamilien als „Ausländer“, „Migranten“ oder als „Menschen mit Migrationshintergrund“ dient der statistischen Identifizierung einer in ein nationales Territorium eingewanderten Gruppe. In bildungspolitischen und pädagogischen Kontexten führen diese Bezeichnungen leicht zu Konnotationen wie „Problemkinder“, „Kinder mit Sprachdefiziten“, „bildungsferne Eltern“, „sozial schwache Familien“, die dann häufig als Hintergrundfolie pädagogischer Interventionen und didaktischer Konzepte dienen. Die „Feststellung“ von Verschieden-heit und Fremdheit trübt den freien Blick auf die kulturelle Vielfalt menschlicher Personen. Sie werden leicht als Subjek-te oder Träger von Kultur übersehen und eher als Objekte kompensatorischer Integrationsmaßnahmen wahrgenommen.

Die Zunahme der kulturellen Vielfalt in den Bildungseinrichtungen durch die Präsenz junger Menschen ganz verschiede-ner Herkunft stellt dagegen ein großes Bildungspotenzial dar. Ihre Neugier, ihre Bedürfnisse, Wünschen und Träume, ihr Einfallsreichtum und ihre Kreativität sind die beste Voraussetzung, um in den Bildungseinrichtungen gemeinsame Formen einer neuen Alltagskultur zu entwickeln, ohne dass die kulturelle Individualität und Originalität der Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund beeinträchtigt werden.

Interaktive Integartion aller Kinder

In der interkulturellen Erziehung und Bildung geht es nicht um eine einseitige Anpassung anders sozialisierter Migranten an Verhaltens-, Wert- und Kulturstandards der Aufnahmegesellschaft, sondern um eine interaktive Integration aller Kinder und Jugendlichen. Sie brauchen dazu „Spielräume“, um in direkter Interaktion mit Personen verschiedener kultureller Prägung ihre eigene kulturelle Identität zu entwickeln.

Dabei spielt die Förderung einer breiten kommunikativen Kompetenz eine wichtige Rolle. Am Anfang steht die Wert-schätzung und Unterstützung der Erstsprachen. Hinzu kommt das möglichst frühe Vertrautwerden mit der Umgangs- und Mehrheitssprache. Die Präsenz von Kindern verschiedener Mutter- und Familiensprachen in den Bildungseinrichtun-gen bietet schon im Kindergarten eine gute Chance, durch eine gemeinsame frühe plurilinguale Bildung eine gute Basis für Mehrsprachigkeit zu schaffen.

Die Möglichkeiten von interkultureller Bildung sind vielfältig: Fantasiereisen, zweisprachiges Erzählen und Vorlesen, Musik, Tänze, Spiele aus verschiedenen Ländern, Rollenspiele, Theater. In den Einrichtungen sollten Poster, Bilder-bücher, CDs mit Liedern und mit Musik, Spiele aus anderen Ländern, Fotos und Mitbringsel aus dem Herkunftsland vorhanden sein. In den Schulbibliotheken dürfen Bücher, Hör- und Videokassetten in verschiedenen Sprachen nicht fehlen.

In allen Bildungseinrichtungen sollte die Interkulturalität als konzeptionelle Dimension und als durchgängiges didaktisches Prinzip verankert werden.

Eltern als Partner

Die Information über Struktur und Aufgaben des öffentlichen Bildungswesens und deren Bedeutung für die berufliche Zukunft der Kinder und Jugendlichen sowie die fachlich fundierte Beratung der Eltern zur Sprachbildung allgemein und zum Zwei- und Mehrsprachigkeitserwerb sind wichtige Aufgaben der Bildungseinrichtungen.

Die Migranteneltern sind aber auch Partner und Experten sowohl für die interkulturelle Erziehung und Bildung in der Familie als auch in den Bildungseinrichtungen selbst. Nicht nur die Kindergärten, sondern auch die Schulen sind geeignete Orte, um Kontakte zwischen Migranteneltern und einheimischen Eltern, aber auch zwischen Migranteneltern verschiedener Sprachen und Herkunft zu ermöglichen.

Eltern mit ihrer pädagogischen Erfahrung könnten so zu Partnern der professionellen Pädagogen werden und gemein-sam Kinder und Jugendliche bei der Gestaltung ihrer multikulturellen Alltagswelt unterstützen. Das könnte für alle Beteiligten ein Zugewinn an Orientierung und Handlungsfähigkeit für das Leben in einer offenen multikulturellen Gesellschaft und in einem demokratischen Europa bedeuten.

Anregungen zur Eltern-Mitarbeit in Bildungseinrichtungen

  • Gemeinsames Tun wie Kochen, Gestaltung der Räume und des Außengeländes
  • Projekte zugunsten aller Kinder, z. B. sicherer Weg zur Einrichtung, Bring- und Abholdienst, Wanderungen
  • Besuche von Einrichtungen, Gruppen, Räumen, in denen sich Familien der Migranten bzw. der Einheimischen treffen
  • Gespräche und biografisches Erzählen zu Themen wie Herkunftskultur, Migration, Sprachen, Bräuche, Religion und deren Relevanz für das Leben in der Aufnahmegesellschaft
  • Unterstützung des Erwerbs der Muttersprache ihrer oder gleichsprachiger Kinder innerhalb der Bildungs-einrichtung
  • Durchführung der weiter oben genannten pädagogischen Aktivitäten
  • Freie Gestaltung eines Halbtages in der Bildungseinrichtung
  • Anregung von Patenschaften zwischen Eltern mit und ohne Migrationshintergrund, zwischen Migranteneltern, zwischen Eltern verschiedener Volksgruppenzugehörigkeit
  • Mitarbeit und Mitbestimmung in Elterngremien

 

 

 

Otto Filtzinger ist

Leiter des Instituts für Interkulturelle Pädagogik an der Universität Mainz und Dozent an der Fakultät für Bildungswissenschaften in Brixen

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