Wege der Prävention gegen den Rechtsextremismus

Teil 1: Selbstkompetenzen stärken, Partizipation ermöglichen

Rechtsextreme Symbole, überhitzte patriotische Parolen, Judenwitze, Ausgrenzung von politisch Andersdenkenden und Überfremdungsängste sind Phänomene, mit denen sich die Gesellschaft und die Schule in Südtirol in den letzten Jahren auseinandersetzen müssen. Die Ursachen für den neuen Aufschwung des Rechtsextremismus liegen nicht zuletzt in den Entwicklungen der modernen Gesellschaften. Welche Wege der Prävention Schulen gehen können, zeigt „forum schule heute“ mit dieser neuen Serie auf

von Walter Pichler

Warum erleben wir seit einigen Jahren bei jungen Menschen eine Faszination für Gedankengut, Symbole und Organisationsformen, die wir mit der Epoche des Faschismus und Nationalsozialismus als überwunden glaubten? Extremismusforscher verweisen vor allem auf vier große Ursachen, die es zu berücksichtigen gilt.

1. Megatrend Individualisierung

Individualisierung ist ein Megatrend der modernen Gesellschaften. Sie ist gekennzeichnet durch die Auflösung traditioneller Bindungen des Individuums an die soziale Klasse und die Versorgung der Familie. Die Individualisierung bietet neue Chancen der Selbstverwirklichung, birgt aber auch die Gefahr der Orientierungslosigkeit, da traditionelle Sicherheiten verloren gehen. Eine Folge dieses Trends ist das Bedürfnis junger (und nicht nur junger) Menschen nach Zugehörigkeit und Identität. Diese Bedürfnisse werden in einer auf individuelle Leistung pochenden Gesellschaft nicht selbstverständlich berücksichtigt. Rechtsextreme Organisationen bedienen entsprechende Defizite.

2. Megatrend Globalisierung

Globalisierung nennt sich der weltweite Prozess der Verflechtung in vielen Bereichen. Sie ist die Folge von technologischen Innovationen und wirtschaftsliberalen Entscheidungen der Politik. Globalisierung hat Vor- und Nachteile, wobei für die Extremismusforschung die Nachteile ins Auge fallen: Soziale Probleme am Arbeitsmarkt, eine dynamischere Migration, die Integrationsprobleme aufwirft, große Ängste vor Verlusten der nationalen bzw. regionalen Identitäten. Rechtsextreme Organisationen bieten hier scheinbar einfache Lösungen für komplexe Problemlagen an, z. B. Ausländer raus!

3. Kontinuität der Vergangenheit

Nach 1945 wurde in Südtirol unter die schwarze bzw. braune Vergangenheit kein klarer Schlussstrich gezogen. Es gab personelle Kontinuitäten auf italienischer wie auf deutscher Seite und vom ideologischen Erbe keine klare Abgrenzung. Sichtbarste Zeichen bis heute: die faschistische Architektur in Bozen auf der einen Seite, das Tragen von Naziorden bei Schützenaufmärschen bzw. die Deutung der deutschen Besat-zung 1943-45 als „deutsche Befreiung“ auf der anderen Seite. Die offizielle Deutung der Geschichte bemühte den Opfermythos und verschwieg oder bagatellisierte die Mittäterschaft der eigenen Sprachgruppe – sie hätte im deutsch-italienischen Ringen nach dem Krieg nur geschadet.

Eine Folge ist mangelndes Problembewusstsein junger Menschen für antidemokratische Haltungen und Äußerungen wie: „Was heißt hier undemokratisch – Hauptsache, es nützt den Unsrigen?“

4. Neue Rekrutierungsstrategien

Rechtsextreme Organisationen versuchten sich seit den 90er Jahren vom verstaubten Image der Ewiggestrigen zu lösen. Sie präsentieren sich heute cool und aufregend. Sie haben Jugendliche als erstes Zielpublikum definiert und begegnen den Jugendlichen in ihrer Lebenswelt (Musik, Internet, PC-Games, Handy-Downloads, Kleidung). In trendiger Verpackung vermitteln sie alte Inhalte („Wir Deutschen müssen zusammenhalten“, „Hass ist geil“, „Moslems killen ist cool“, „Juden sind Schweine“…). Jugendliche können sich von diesem aufmüpfigen Image blenden lassen. Ihnen gefällt z. B. der Musikstil, wobei der Inhalt eines Liedes, das vielleicht gegen Andersdenkende hetzt, erst allmählich aufgenommen wird.

Schule kann präventiv tätig werden

Welche Möglichkeiten hat die Schule angesichts dieser Entwicklungen? Was kann ein Lehrerkollegium unternehmen, das sich mit dem Thema Rechtsextremismus aktiv auseinandersetzen möchte bzw. muss? Die Extremismusforschung sieht die Stärken der Schule vor allem im präventiven Bereich. Wenn die Schule hier tätig werden möchte, kann und sollte sie mehrere Wege beschreiten, die einen immunisierenden Mix ergeben.

Bedürfnisse der Jugendlichen ernst nehmen

Psychologen, die sich mit dem Phänomen der Jugendgewalt und mit schulischer Präventionsarbeit auseinandersetzen (z. B. der Schweizer A. Guggenbühl und E. M. Zitzmann aus den USA), stimmen mit dem bekannten Soziologen und Rechtsextremismusforscher W. Heitmeyer (Deutschland) überein; sie betonen, dass Schulen, die effiziente Präventionsarbeit gegen Jugendgewalt und Rechtsextremismus leisten möchten, die durch die aktuellen Entwicklungen verstärkten Bedürfnisse der Jugendlichen, und zwar vor allem jene nach Zugehörigkeit, Anerkennung, Identität und Partizipation, ernst nehmen müssen.

Schulen können im Unterricht darauf eingehen, sie sollten diese Bedürfnisse aber auch in der pädagogischen Leitbildarbeit berücksichtigen. Lehrerkollegien können sich fragen: Was gilt es, in der lebendigen Schulkultur zu verändern, um ihnen besser Rechnung zu tragen? Mit welchem Projekt, mit welcher strukturellen Änderung kann Partizipation im Schulalltag mehr gelebt werden und weniger nur Schlagwort sein? Wie können wir es anstellen, dass Demokratie und demokratisches Entscheiden und Handeln für Schüler/innen nicht nur ideelle Werte, sondern im Schulalltag konkret erleb- und erfahrbar werden?

Schlüsselkompetenzen stärken

Der wohl bekannteste Extremismusforscher W. Heitmeyer sieht in der Förderung der Selbst- und Sozialkompetenzen der Jugendlichen den wichtigsten Beitrag der Schule in der Prävention gegen Extremismus.

Zu den Selbstkompetenzen, die an der Schule besonders gefördert werden können, zählen: ein positives Selbstbild entwickeln, Gefühle und eigene Grenzen wahrnehmen, eigene Stärken und Schwächen realistisch einschätzen sowie bereit sein, für das eigene Leben Verantwortung zu übernehmen.

Im Hinblick auf die Gruppe bzw. die Schulklasse kann die soziale Kompetenz der Lernenden gefördert werden: durch das Erkennen von Gefühlen anderer sowie von Missverständnissen in der Kommunikation, durch den Aufbau von Empathie, durch das Aushandeln von Kompromissen, durch die Erfahrung der Koope-ration und die Übernahme von Verantwortung. Dazu zählen der respektvolle Umgang miteinander – auch zwischen Lehrperson und Schüler/in – sowie das Aushandeln und Einhalten von gemeinsamen Regeln in der Klassengemeinschaft.

Walter Pichler ist Lehrer an der LEWIT in Meran und Projektbegleiter für Geschichte und Politische Bildung am Pädagogischen Institut Bozen.

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