Ein Schritt in Richtung "Kinderuniversität"

Grundschüler/innen an der Bildungswissenschaftlichen Fakultät in Brixen

Die Fakultät für Bildungswissenschaften befindet sich direkt im Herzen von Brixen. Das Gebäude ist zwischen verkehrsberuhigter, historischer Altstadt und flexibler Mobilität platziert. Die Bevölkerung von Brixen steht der Fakultät ziemlich gleichgültig gegenüber, weiß sie doch zumeist nicht, was dort eigentlich vor sich geht und interessiert sich auch nicht sonderlich dafür.

von Elisabeth Flöss

Dies verhielt sich bis vor wenigen Jahrzehnten im Falle der 1952 errichteten Außenstelle der „Uni-versità di Padova“, die nach wie vor in Brixen die Sommerkurse anbietet, vollkommen anders. Die kommunikationsfreudigen und mondänen italienischen Studenten brachten damals großen Schwung in die Stadt, und die Bevölkerung nahm sie mit Interesse und Neugier wahr. Die Studenten nahmen die Stadt, besonders ihre Grünanlagen, in Besitz und wurden vor allem durch die Bücher, die sie, von einem bunten Gummiband zusammengehalten, unter den Arm klemmten, als Paduaner Studenten identifiziert. Heute hingegen werden Studierende oder Professoren der Fakultät für Bildungswissen-schaften oft kaum wahrgenommen. Wo die Paduaner früher oft das Ortsbild bestimmten, scheinen die Studierenden heute mit dem Fahrplan im Kopf ihr Studium zu meistern und die Stadt möglichst schnell wieder zu verlassen.

Der primäre Auftrag der Fakultät für Bildungswissenschaften liegt in der Ausbildung der angehenden Kindergärtner/innen und der Lehrer/innen der Grundschule mit dem Ziel, die Bildung der Kinder best-möglich zu gestalten. Die Studenten besuchen Vorlesungen und absolvieren verschiedene Praktika an Kindergärten und Grundschulen. Die Lehrbeauftragten engagieren sich in der Lehre sowie in For-schungs- und Publikationsarbeit, wobei die Studierenden einen Teil der Forschungsarbeiten vor allem zur Erstellung ihrer Laureatsarbeit ausführen. Immer wieder wenden sie sich hierfür an die Schulen, um dort etwa über Fragebogenaktionen kleinere Forschungen durchzuführen.

Die Lehrenden selbst sind naturgemäß kaum in der Lage, über einen längeren Zeitraum direkt mit Kindern zu arbeiten, um ihre Verhaltensweisen im Hinblick auf einen bestimmten Forschungsgegen-stand zu beobachten und zu erfassen. Da Kinder für die Fakultät für Bildungswissenschaften die wich-tigsten „Forschungssubjekte“ darstellen, sollte sie sich jedoch stark um diese bemühen.

 

Ein Projekt mit Kindern der Grundschule

Ein faszinierendes und bisher einmaliges Beispiel von Öffnung der Fakultät hin zu den Kindern stellt seit September 2009 das Projekt „scratch-day“ dar. Die Initiative ist von Alessandro Colombi, Professor für Didaktik und Medienwissenschaften, mit seinen Studierenden Giulia Consalvo und Glauco Scapin ausgegangen. Sie sind es auch, die die Kinder gemeinsam mit einigen Studierenden der Fakultät in ihren Aktionen unterstützend begleiten.

Scratch ist eine Möglichkeit, um die Kinder am Laptop zum selbstständigen Programmieren zu führen. Sechs Bausteine mit entsprechenden Aufträgen in verschiedenen Sprachen gewähren den Zugang zur Herstellung von Bildern und deren Animation, zur Steuerung von Klang und Zeit oder zum Verfassen von Texten.

Die Hauptakteure dieses Forschungsprojekts sind 20 Kinder der zweiten Klasse der deutschen Grundschule von Brixen-Milland mit ihrer Lehrerin Johanna Markart. Jeden Dienstagnachmittag begibt sich die Gruppe in einen mit Laptops ausgestatteten Lehrraum der Fakultät, um sich im Programmieren zu üben.

Kinder und die Welt des Programmierens

Der Initiative liegt die Absicht zugrunde, Kindern unter Wahrung größtmöglicher Autonomie im Hinblick auf Zeit und Raum eine unterstützte Gestaltungsfreiheit mit dem neuen Medium zu ermöglichen. Die Kinder machen dabei die grundlegende Erfahrung, dass sie es sind, die das Medium beherrschen und durchschauen, anstatt ihm ausgeliefert zu sein.

Beide Partner – Kinder wie Studierende – ziehen aus der Initiative außerordentlichen Nutzen. Vorab werden die Kinder früh mit einem akademischen Ambiente vertraut. Sie erleben, dass Erwachsene die Bereitschaft aufbringen, sie in die ihnen bis dato unbekannte Welt des Programmierens einzuführen. Die Kinder erfassen die Welt der Medien, indem sie diese gestalten, und gelangen so zu Kritikfähigkeit und Mündigkeit. Sie erleben, dass aktive Beschäftigung zu Erfolgen führt und machen das beglückende Erlebnis, dass ein hohes Potenzial in ihnen steckt.

Die Studierenden hingegen erhalten die einmalige Gelegenheit, den Einsatz des Computers in einem didaktischen Kontext zu analysieren. Durch das „one-to-one computing” beobachten die Studierenden mit Aufmerksamkeit die Vor- und Nachteile des neuen Ansatzes der Didaktik und die individuelle Nutzung dieses Mediums.

Dank der ausgeprägten Heterogenität der Schülergruppe – sieben der Kinder stammen aus Pakistan, Albanien, Tunesien, Marokko und Bosnien – erleben die Studierenden eine reichhaltige Testgruppe. Die Beobachtungen beziehen sich auf die sechs verschiedenen Muttersprachen und Kulturen der Kinder, auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Nutzung des Laptops und richten sich an die Kreativität und den Mut des einzelnen Heranwachsenden.

Heterogene Gruppe, überraschende Erkenntnisse

Lehrende und Studierende erhalten insbesondere dank der kulturellen Herkunft der Kinder unzählige, oft unerwartete Anregungen, die einige der bisherigen Hypothesen zum Umgang von Kindern mit Computern erweitert, oft sogar widerlegt haben. Die gewonnenen Erkenntnisse bezogen sich auf die Art und Weise, sich Computer-Kenntnisse anzueignen, auf die individuellen Erzählungen und Zeichnungen sowie auf die verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten.

Das Projekt ist noch im Gange und schafft eine neue Beziehung zwischen Brixen und seiner Universität. Sie wird als einmalige Ressource wahrgenommen und bereichert durch den engen Theorie-Praxis-Bezug die Forschung.

Alessandro Colombi beschreibt das besondere Projekt und kommt zu folgendem Urteil: „ Il percorso, essendo tutt'ora in pieno svolgimento, non permette ovviamente l'indicazione di alcuna conclusione di sorta o il raggiungimento di qualsivoglia obiettivo particolare, quello che stiamo registrando da 18 settimane, d'altro canto, segnala interesse, motivazione, curiosità e impegno che non accennano a diminuire, in un contesto di lavoro nuovo e stimolante per tutti, che vede 20 bambini e bambine occupare chiassosamente, ma anche molto seriamente, una grigia aula universitaria che, per un paio d'ore alla settimana, diventa un luogo del tutto diverso e, a nostro avviso, decisamente più vivo e in qualche modo, migliore.”

Ein schöneres Kompliment für die engagierten Beteiligten und die Kinder ist wohl kaum vorstellbar.

Elisabeth Flöss ist Direktorin am Schulsprengel Brixen/Milland.

PRAXIS