Wege der Prävention gegen den Rechtsextremismus

Teil 3: Den Wandel der Gesellschaft als Herausforderung akzeptieren

Welche Fakten und Einstellungen müssen im Unterricht dargelegt und diskutiert werden, um die Identität der Jugendlichen zu festigen und sie zugleich auch zu befähigen, dem Fremden und Anderen furchtlos und, wo dies angebracht ist, mit Neugier und Interesse zu begegnen? Die Stärkung des Geschichtsbewusstseins, auch das Wissen darum, wie unterschiedlich das Pendel der Geschichte ausschlägt, interkulturelles Lernen und Rollenspiele zur Identitätsfindung sind wichtige Instrumente.

von Walter Pichler

 

Die Einwanderung von Menschen aus anderen Kulturen wird in Europa und auch in Südtirol zuneh-mend als Herausforderung, von vielen und sehr oft aber eindeutig als Problem gesehen. Rechtspopulisten und Rechtsextreme finden in der Verunsicherung der Gesellschaft, auch der Jugendlichen durch die neuen Wanderungsbewegungen einen Nährboden für vorgeschlagene Radi-kallösungen.

Zahlreiche Menschen und besonders auch Jugendliche in Europa reagieren auf die als irreversibel geschätzten Einwanderungsprozesse mit einer ablehnenden Haltung. Südtirols Jugendliche sind da im Trend. Vier von zehn Jugendlichen in Südtirol empfinden es laut der ASTAT-Jugendstudie (2004) als störend, dass es in Südtirol viele Einwanderer gibt. Auch sind sie der Meinung, dass sie den Ein-heimischen Arbeitsplätze wegnehmen. Der Aussage „Die Einwanderer sind eine kulturelle Bereiche-rung für unser Land“, stimmten nur 5,7% der deutschsprachigen, 28,0% der italienischsprachigen und 0% der ladinischsprachigen Jugendlichen zu.

 

Aufklärung gegen Stammtischparolen

Was können Lehrpersonen tun, damit pauschal ablehnende bis fremdenfeindliche Haltungen gegenüber Einwanderern bzw. auch gegenüber einer anderen Sprachgruppe durch ein differenzierteres Verständnis der Wirklichkeit ersetzt werden? Ein wichtiger Ansatzpunkt ist weiterhin der aufklärende Zugang, der die Schüler/innen auf den Unterschied zwischen Stammtischparolen und Fakten hinweist. Zu den Fakten gehören auch Studien wie jene der Banca D'Italia (2009), wonach Ausländer/innen dazu beitragen, dass Italiener/innen bessere Jobs erhalten bzw. dass italienische Frauen dank der Hilfe der Ausländerinnen im häuslichen Pflegebereich am Arbeitsmarkt tätig sein können.

Wissen um dreisprachiges Tirol

Das Wissen um die eigene Geschichte ist ein weiterer Schlüssel zum besseren Verständnis der Gegenwart: Tirol war immer schon ein dreisprachiges Land, in dem Deutsche, Ladiner und Welschtiroler (Italiener) nebeneinander lebten. Auch innerhalb Südtirols waren die Sprachgruppen im Kontakt zueinander: In Bozen und Meran gab es italienische Kaufleute und Arbeiter, im Unterland Tausende italienischer Landarbeiter, Handwerker und Kleinbauern. Es war durchaus üblich, dass bäuerliche Familien die Kinder zum Italienischlernen zu Familien in die italienische Nachbarschaft schickten. Der Journalist und Historiker Claus Gatterer hat uns – entgegen allen ethnozentrischen Verengungen – den Blick auf das mehrsprachige Tirol geöffnet. Möge uns das auch bei unseren Schülerinnen und Schülern gelingen.

Tirol als traditionelles Auswanderungsland

Bis vor wenigen Jahrzehnten war Südtirol ein Netto-Auswanderungsland. Der Arbeit wegen gingen Südtiroler/innen in alle Welt: in die nahe Schweiz, um Kühe zu hüten, nach Italien als Dienstmädchen, nach Deutschland für Holzarbeiten, ja bis ins ferne Brasilien, wo heute noch in einer Siedlung ein Tiroler Dialekt gesprochen wird, hat es sie verschlagen. Auswandern, das war eine Normalität. Das Wissen um die eigene Migrationsgeschichte kann mit dazu beitragen, die Motive und die Situation der Einwanderer besser zu verstehen

Ängste der Jugendlichen ernst nehmen

Jugendliche reagieren auf den raschen Wandel unserer Gesellschaft mit Ängsten und Verunsicherung – zum Teil ebenso wie ihre erwachsenen Vorbilder, zum Teil aber auch stärker. Ihre Identität ist noch nicht so gefestigt und die Zukunft erscheint ihnen mitunter bedrohlich, auch ohne fremde Kulturen. Die Schule kann mit geeigneten Unterrichtsmaterialien die Jugendlichen dabei unterstützen, ihre eigenen Identitäten wahrzunehmen und zu stärken. Je kulturell bunter das Klassenzimmer ist, desto zielführender ist es, nicht eine einzige Identität, z. B. die kulturelle, überzubetonen, sondern vielmehr den Menschen in der Vielzahl seiner Identitäten wahrzunehmen: seine kulturelle Identität, seine Geschlechtsidentität, seine soziale Identität… Zugleich können Jugendliche in Rollenspielen lernen, Ängste (auch gegenüber fremden Kulturen) zu formulieren und diese Ängste in Zielperspektiven umzuformulieren. Was kann ich tun, damit ich eine bestimmte Situation nicht mehr als bedrohlich erlebe, sondern als Herausforderung, der ich gewachsen bin?

Das Exklusionsmodell in Frage stellen

Schüler/innen mit einem sehr patriotischen Elternhaus neigen in Südtirol mitunter dazu, den Platz für andere Kulturen in Südtirol in Frage zu stellen. Dabei ist Patriotismus nicht zwangsläufig auf Exklusion anderer Kulturen angelegt, wie das Beispiel des amerikanischen Patriotismus zeigt. Im Einwanderungsland USA werden Angehörige einer anderen Kultur inkludiert, wenn sie sich zum Land und seinen Werten bekennen. Warum setzt der Patriotismus in Südtirol so stark auf die Exklusion von anderen Kulturen? Welche anderen Modelle des Umgangs zwischen Kulturen gibt es? Welches würde sich ein/e Schüler/in für sich selbst wünschen – als Ausländer/in in einem fremden Land? Welche Vorteile ziehen Menschen daraus, dass sie mehrere Kulturen kennen lernen?

Schüler/innen mit anderen Kulturen annehmen

In Klassen mit Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund können interkulturelle Lern-einheiten dazu beitragen, diese besser zu integrieren . Empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang ein Unterricht, in dem sie sich angenommen fühlen können, die Erfahrungen und die Kultur der Schüler/innen einen Platz finden und es zu einem Austausch kommt. Als Unterstützung von außen kann sich die Lehrperson an die Sprachenzentren wenden, wo sie im Hinblick auf Sprachförderung, interkulturelle Projekte sowie Literatur beraten wird. Auch eine Liste der verfügbaren interkulturellen Mediatorinnen und Mediatoren kann dort angefordert werden.

Walter Pichler ist Lehrer an der Lehranstant für Wirtschaft und Tourismus in Meran und Projektbegleiter für Geschichte und Politische Bildung am Pädagogischen Institut Bozen.

PRAXIS