V.A.S.

Ich hatte einen Traum… oder war es eine Vision?

 

Doch es schien alles so... real!

Wir befinden uns im Jahr 2017. Ab der 6. Klasse wird die schulische Ausbildung nur noch über eLearning angeboten.

Es hat alles ganz harmlos begonnen. 2010 fing man an, den Landesangestellten den Lohnzettel nur noch als PDF-Datei zu schicken. „Man spart Papier und tut somit etwas für die Umwelt“, hieß es vonseiten der Landes-regierung. Von meiner Bank erhielt ich einen 4 GB-Speicherstick; ich sollte nun sämtliche Belege per E-Mail und als Computerdatei erhalten. Dann ging alles blitzschnell: Jede Familie mit Kindern ab 11 Jahren bekam einen Beitrag, um das nötige Equipment ankaufen zu können. In wichtigen Kommissionen und zahlreichen Arbeits-gruppen wurden in Rekordtempo alle Lernprogramme von der 6. bis zur 13. Klasse digitalisiert und interaktiv aufbereitet. Es folgte die Schließung aller Mittel-, Ober- und Berufsschulen. Die Lehrpersonen wurden in anderen Landesabteilungen und im Tourismus eingesetzt. Das Schulamt ist eine riesige Computerzentrale, wo alle schriftlichen Arbeiten der Schüler/innen eingehen, elektronisch ausgewertet und bewertet werden. Alles ist computerisiert; hier wird kaum mehr was von Menschenhand erledigt, und kluge Köpfe braucht es offenbar auch keine mehr.

In einzelnen entlegenen Gemeinden, die noch keinen ADSL-Anschluss haben, gibt es als Übergangslösung noch eine Mittelschule. Die Lehrkräfte werden von der längst obsoleten Schulleitung autonom ausgewählt. Hier spielen sich dramatische Szenen ab. Genommen werden die Besten und Belastbarsten der aussterbenden Spezies. Jene, die keine Stelle erhalten, warten wie hungrige Wölfe auf Nachhilfejobs.

Das eLearning-System in Südtirol ist weltweit das erste seiner Art. Die Schüler/innen können zwischen drei Schwierigkeitsstufen wählen. Es gibt keinen festen Stundenplan, aber ein Pensum, das täglich bis spätestens 16.00 Uhr in der Computerzentrale in Bozen eingehen muss. Das Fach Bewegung und Sport wird auf einer Videospiel-Konsole abgehalten, mit Controller und Bewegungssensoren, echt super! Die Spielstände werden automatisch nach Bozen weitergeleitet.

Man stelle sich die Erlöse durch eingespartes Papier, durch den Wegfall von Gehältern, Lunchcards und Fortbildungen vor! Die freiwerdenden Geldsummen und die satten Gewinne aus dem Verkauf der Gebäude haben die Finanzierung des Brennerbasistunnels ermöglicht. Mit dem Rest wurden die Diäten der Landespolitiker/innen erhöht und die Sanität konnte sich zum x-ten Mal einen Krankenversicherungsexperten aus den USA leisten. Seine Expertise unterstützt das Management beim Abwirtschaften.

Künftig gut gehende Berufe? Augenärzte und Optiker haben Hochkonjunktur; durch den massiven Gebrauch des Computers benötigen fast 99% der Schüler/innen eine Brille. Auch die Physiotherapeuten befinden sich im Aufwind: Sie behandeln vorwiegend ungelenke Finger, steife Nacken und starre Körper.

Zu diesem Zeitpunkt bin ich aufgewacht… und mir kam sofort ein Gedanke: Wenn die Schulen abgeschafft sind… wären… äh, würden, wäre auch ich arbeitslos und der V.A. S. hätte sein Ziel definitiv erreicht. Schluck!

In nicht ganz unerschütterlicher Vereinstreue

Ehrenfried Schullerer

 

satire