Demokratie im Unterricht

So läuft's, wenn Kinder täglich demokratische Spielregeln einüben

„Ich schließe den Gesprächskreis und teile die Lernpläne aus.“ „Wer möchte etwas erzählen oder vorstellen?“ „Bitte halte dich an die Gesprächsregeln!“ „Wie ist es dir heute beim Arbeiten ergangen?“ „Warum hast du die Arbeiten, die du dir vorgenommen hast, nicht erledigt?“ „Wir stimmen jetzt darüber ab!“ – Diese Sätze bekommen die Kinder in meinem Unterricht nicht von mir zu hören, sondern von ihren eigenen Mitschülerinnen und Mitschülern.

von Karin Dietl

Die Gesprächsleitung obliegt den Kindern, und dies gelingt bereits bei den Einschulenden. Sehr wertvoll ist hierbei die jahrgangsübergreifende Gruppe, in der die älteren den jüngeren Schüle-rinnen und Schülern oder – wie es Peter Petersen nennt – die „Meister“ den „Lehrlingen“ ein Vorbild sein können.

Zwei alltägliche Rituale

Die Kinder finden sich täglich in einem Morgenkreis zusammen. Hier sprechen sie über Erlebnisse von zu Hause, präsentieren und zeigen ihre persönlichen Kostbarkeiten, an denen sie ihre Mit-schüler teilhaben lassen wollen. Im Gesprächskreis wird auch der Tag geplant, sei es organisato-risch wie inhaltlich. Die Kinder übernehmen hier selber die Verantwortung für ihr Tun und Handeln durch die gemeinsame Planung.

Am Ende des Schultages finden sich die Kinder wieder in einem Kreis, dem Reflexionskreis,  zu-sammen, und sie berichten vom Arbeitstag. Diese Reflexion in der Gruppe ist grundlegend. Wenn die Kinder etwas nicht geschafft haben, müssen sie Rechenschaft ablegen. Die Gruppe gibt Tipps und Ratschläge oder diskutiert über mögliche Sanktionen bei Nichteinhalten von gemeinsam festgelegten Vereinbarungen. Die Lehrperson steht nicht mehr im Vordergrund, sondern ist Teil der Gruppe und hat eine Stimme, wobei sie selbstverständlich unterstützend wirkt.

Vier Tafeln mit den Überschriften: „ich wünsche“, „ich beglückwünsche“, „ich informiere“ und „ich kritisiere“ bilden die so genannte Wandzeitung, wie sie Freinet eingeführt hat. Die Kinder schrei-ben im Laufe des Tages ihre Namen auf, wenn sie sich etwas wünschen, jemanden beglückwün-schen, etwas kritisieren oder wenn sie eine Information bekannt geben möchten. Im Abschluss-kreis verweist der/ die Gesprächsleiter/in – es ist immer ein Kind – auf die „Wandzeitung“ und die Kinder, deren Namen dort stehen, werden gebeten zu berichten.

Neben dem sozialen Bereich werden auch inhaltliche und organisatorische Fragen diskutiert. Reflektieren und demokratisches Handeln werden effektiv und sinnvoll geübt – eine Forderung, die Freinet gestellt hat. Sein Credo ist das Einüben demokratischer Spielregeln, die freie Mei-nungsäußerung, der behutsame Umgang mit Kritik und die kollektive Entscheidung.

Erlernen der Grundhaltung

Das Einüben demokratischer Spielregeln ist nicht reduziert auf die zwei Gesprächskreise, vielmehr bildet es die Grundlage. Für Lehrpersonen ist es nicht immer leicht, wesentliche Entscheidungen zu Regeln im Gruppenverband gemeinsam mit den Kindern zu treffen, aber die Wirkung ist enorm, da die Verantwortung geteilt wird. Selbstverständlich müssen die Kinder behutsam hingeführt werden. Es gilt, viele Momente zu schaffen, wo die Kinder merken, dass ihre Anliegen bedeutsam sind und auch lernen können, ihre Ansichten, Meinungen und Gedanken zu vertreten. Dies kann z. B. bei den „persönlichen Themen“ gelingen.

In einem Lernvertrag werden freie Themenwahl, Verarbeitung, Lernpartner/in, Zeitraum und Ergebnis festgelegt. Bei der Präsentation gilt es wieder Rede und Antwort zu stehen. Auch bei den „gemeinsamen Stammgruppenthemen“ planen Lehrpersonen und Kinder gemeinsame Projekttage.

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