Das Spiel gewinnen

Welche Autoritäten wünschen sich Berufsschüler/innen?

 

In meinem Bücherregal stehen zwei Bücher nebeneinander, deren Inhalt unterschiedlicher nicht sein könnten und die sich doch beide mit dem gleichen Thema auseinandersetzen.

 

von Marlene Kranebitter

 

Die Streitschrift „Lob der Disziplin“ von Bernhard Bueb und die Erinnerungen von Frank McCourt an seine Zeit als Lehrer an New Yorker Schulen mit dem Titel „Tag und Nacht und auch im Sommer“ sind unglaublich bereichernd. Man mag sich daran reiben, dass Bueb den „Mut zur Erziehung“ in den Mittelpunkt stellt, die Nicht-Erziehung anprangert und Disziplin heilend sein lässt, man mag den Kopf darüber schütteln, das McCourt mit unkonventionellen Methoden versucht hat, die Herzen von launischen, genervten oder aufsässigen Schülern zu gewinnen, beiden Lehrern ist jedoch gemein-sam, dass sie die Jugendlichen sehr ernst genommen haben.

 

Blaffen und schnauzen

 

Als ich am 14. September 1988 eher zufällig als gewollt meine erste Stelle als Lehrerin antrat,  muss das für meine damaligen Schülerinnen an der Haushaltungsschule in Pairdorf ein Schock gewesen sein. Die Haare züchtig zusammengebunden, eine überdimensionale Brille und ein grau-braun-blau gestreiftes Kleid sollten meine Jugendlichkeit überdecken. Ich war gerade einmal neunzehn Jahre alt und mir schlotterten die Knie angesichts der Tatsache, dass ich vor wenigen Monaten noch die Schulbank gedrückt hatte und mich jetzt auf der Seite des „Gegners“ befand. Außerdem hatte man mir gesagt, dass man seinen Schülern bereits in der ersten Stunde die Schneid abkaufen müsse, sonst wäre man verloren. Ich kann mich noch an die erwartungsvollen Augen der 36 Mädchen und an meine mit messerscharfem Tonfall vorgetragene Predigt erinnern. Ich wollte meine Autorität zur Schau stellen, dabei habe ich wohl eher Angst erzeugt. Ich war der Kapitän und ich würde den Kurs bestimmen. Die Schüler würden meine Entschlossenheit spüren, sie würden merken, wohin die Reise ging und was von ihnen erwartet wurde, sonst... Genauso hat es Frank McCourt in seinen Erinnerungen im Jahre 2005 geschrieben und genauso habe ich damals gefühlt, ohne etwas von Frank McCourt zu wissen. Wenn man blafft oder schnauzt, hat man verspielt, schreibt Frank McCourt, das kriegen sie andauernd von ihren Eltern und den Schulen im Allgemeinen. Ich habe damals geblafft und geschnauzt und hatte Glück, weil mir die Mädchen eine zweite Chance gaben.

Mögen, nicht verstehen

 

Als ich nach drei Monaten gehen musste, flossen auf beiden Seiten Tränen. Geblafft und geschnauzt habe ich auch später noch, als ich als Deutschlehrerin vor Elektrikern, Schlossern, Tischlern stand und glaubte, mich durchsetzen zu müssen bei jungen Burschen, die meinem Fach so gar nichts abgewinnen wollten, „denn dafür suchen wir uns später eine Sekretärin.“ Jugendliche wollen heute Autorität nur anerkennen, wenn sie authentisch wirkt, meint Bernhard Bueb. Diese authentische Autorität wird einem nur selten in die Wiege gelegt, die meisten von uns müssen sie sich mühevoll erarbeiten, mit vielen Zweifeln, mit Rückschlägen und am besten mit einer Portion Selbstironie. „Versuchen Sie nicht, uns zu verstehen!“, hat mir vor einigen Jahren David, damals gerade herz-erfrischend-freche 15, mit einem breiten Grinsen gesagt, als wir über das Verhalten der Jugend-lichen im Allgemeinen diskutierten. Dieses „Versuchen Sie nicht, uns zu verstehen“ wurde zum geflügelten Wort, zum Running-Gag über mehrere Jahre. Und beiden Seiten, meinen Schülern und mir war klar, dass er den Satz gerne ergänzt hätte mit „aber versuchen Sie, uns zu mögen.“

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