Mein Lehrer, der Tyrann

 

Der Lehrberuf zehrt - aber daran führt kein Weg vorbei

Sind unsere Kinder und Jugendlichen besonders gewaltbereit? Sind sie gar Gewaltherrscher, Tyrannen? Sind folglich auch unsere Schüler Tyrannen? Werden wir Lehrpersonen von diesen unseren Schülern tyrannisiert und lassen wir uns tyrannisieren? „Verführen“ heute „Schulen Schüler zu verantwortungs-losem Lebensstil“, wie der Verein für christliche Erziehung und Schule alle Südtiroler-Welt wissen lässt, indem sie ein entsprechendes Informationsblatt in den Cafes aufliegen lässt?

 

von Brigitte Maria Pircher

 

Nach einem erholsamen Sommer fällt es mir schwer, an das „Böse“ im Menschen zu glauben – aber irgendwo tief in mir drinnen weiß ich, dass die folgende Aussage stimmt: Alle Jahre wieder klagen wir Lehrkräfte über die Schülerinnen und Schüler, über sinkende Arbeitsmoral, über mangelndes Pflichtgefühl, über Unpünktlichkeit, über eine Null-Bock-Haltung, über fehlende Selbstständigkeit – wir mühen uns ab mit Schülern, die keinen Respekt zeigen, die spontan unhöflich sind und denen es fremd erscheint, sich den Regeln und Anweisungen einer Lehrperson zu beugen. Besagte Schüler sind im Normalfall die Ausnahme in den Klassen – aber sie sind es, die uns Nerven kosten, die viel Kraft und ein starkes Selbstwertgefühl erfordern.

 

Defizite auch bei Lehrern

 

Was wir Lehrer/innen bei den Schülern erkennen, finden manche Beobachter auch bei uns, den Pädagogen: fehlende Werte, „unangemessene“ Moralvorstellungen, inakzeptable Grundhaltungen. Fazit: Werteverfall wohin das Auge reicht, in den Schulen, in den Elternhäusern. Schlecht ist es um unsere Gesellschaft bestellt, so schlecht wie – wir wissen auch das – eh und je. Immer wieder fühlt man sich daher verpflichtet, die Lehrer darauf hinzuweisen, dass sie in erster Linie Werte ver-mitteln sollen. Die  Gesellschaft verlangt danach – die Schüler verlangen danach, wenn nicht Chaos und Tumult die Klassenzimmer beherrschen sollen. Wir sind in erster Linie zu Wertevermittlern geworden, wie unlängst auch die deutsche Unterrichtsministerin Anette Schavan in Bozen ver-lauten ließ. Begriffe wie Werteerziehung, emotionale Erziehung, Erziehung zur Selbstständigkeit usw. werden in vielen Mittelschulen zu Tode diskutiert.

 

Noten für Werte

 

Seit einigen Jahren müssen Erziehungsziele explizit im Jahresprogramm genannt und zu Beginn des Schuljahres in die verschiedenen Fachbereiche integriert werden – jede Lehrkraft sollte sich dadurch ihrer Erziehungspflicht besonders bewusst werden und konsequent darauf achten. Werteerziehung wird also nicht nur gefordert, sondern muss sogar schriftlich festgehalten werden, damit jederzeit kontrolliert werden kann, ob diese Werte auch vermittelt wurden. Am Ende des Schuljahres haben Schülerinnen und Schüler Kompetenzen erreicht, die – meist nach Stufen bzw. erreichten Niveaus – auch bewertet werden. Dabei drängt sich die Frage auf, inwiefern das Verinnerlichen von Werten in Noten ausgedrückt werden kann.

 

„Einfluss und Ansehen“

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