Autorität braucht Legitimation

 

Im vorliegenden Interview spricht der Rektor der Freien Unsiversität Bozen Walter Lorenz über den  Ursprung  und die Grenzen der Autorität, welche besondere Fähigkeiten eine Lehrperson haben muss und wie man draufkommt, ob man sie hat.

f: Würden Sie sich als eine autoritäre Persönlichkeit bezeichnen?

Walter Lorenz: Da ist ein großer Unterschied zwischen den Begriffen „autoritär“ und „Autorität“. Ich sehe den Unterschied darin, dass Autorität auf ganz unterschiedliche Art gezeigt werden kann. Ich verwahre mich gegen ein autoritäres Auftreten, sowohl im organisatorischen, im mitmensch-lichen als auch und vor allen Dingen im pädagogischen Kontext. Ich bin von meinem Jahrgang her noch dahingehend sozialisiert, dass ich als „68er“ allem Autoritären gegenüber eine besondere Sensibilität entwickelt habe. Die antiautoritäre Erziehung war das Schlagwort unserer Zeit. Das Thema hat mich zeitlebens beschäftigt, sowohl im Fachlichen als auch im Persönlichen. Man sieht viele Dinge anders, wenn man erst mal Kinder hat und mit Fragen der Autorität konfrontiert wird. Die Bedenken gegenüber einem autoritären Erziehungsstil sind aber geblieben.

Wie würden Sie den Begriff „Autorität“ definieren?

Für mich hat Autorität unmittelbar mit der Legitimation eines Machtanspruches zu tun. Unsere Gesellschaft und unsere persönlichen Verhältnisse  sind durch unterschiedliche Befugnisse strukturiert. Im sozialen/menschlichen Bereich ist es unablässig, dass wir unterscheiden zwischen einem Machtanspruch, der aus natürlichen Konditionen abgeleitet wird, z. B. durch Stärke, Alter, Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder Bildungsgrad. Das sind keine legitimen Gründe, Autorität auszuüben. Das Entscheidende an diesen sozialen zwischenmenschlichen Machtverhältnissen ist, dass wir diese Autorität immer wieder legitimieren, verhandeln müssen. Sie kann immer nur angewandt und wirksam werden, wenn sie auf Einverständnis beruht.

Das ist die Position der französischen Aufklärung, etwa im „Contract Social“. Kann man daraus ableiten, dass Menschen das Bedürfnis nach Autorität nicht von Geburt an in sich tragen,  sondern dass dies ein rein gesellschaftliches Phänomen ist?

Ich gehe anthropologisch davon aus, dass wir in unserer psychologischen Konstitution von zwei  Grundelementen geprägt sind. Das eine ist das Element der Autonomie. Wir merken schon beim Kleinkind sehr früh das Bedürfnis, selbst Entscheidungen treffen zu können, meistens zum Leid-wesen der Eltern! Kinder wollen selber essen, selber entscheiden, ob sie eine Jacke anziehen wollen oder nicht. Dieses Unabhängigkeitsbedürfnis ist für die Persönlichkeitsentwicklung absolut prägend. Sie steht aber in Kontrast zum gleichzeitigen Bedürfnis nach Abhängigkeit. Wir sind von Geburt an wie kein anderes Lebewesen auf unsere Eltern, auf andere Personen angewiesen.

Eltern sind nicht mit einem Instinkt ausgewiesen, das Kind zu pflegen. Was das steuert, ist der Sozialvertrag, eine bestimmte Erwartung an die Eltern, dass sie ihr Kind pflegen, ihm Aufmerksam-keit schenken. In meinem Beruf als Sozialarbeiter weiß ich sehr gut, dass es hier keine Sicherheiten gibt. Das muss sozialisiert werden und dabei kann unheimlich viel schief gehen. Sich darauf zu verlassen, dass Eltern eine natürliche Autorität haben, ist daher eine höchst gefährliche Sache! Diese Autorität müssen auch sie im tatsächlichen Verhalten zum Kind bestätigen und belegen.

Brauchen Kinder also Autorität?

Absolut! Die Fehlinterpretation der „68er“ war, dass man alle Autorität wegfegen wollte, ohne Grenzsetzungen. Das ist ein grundsätzliches Missverständnis. Das Grundanliegen der kritischen Pädagogik jener Zeit war, die Autorität von außen nach innen zu verlegen. Das heißt, die Befähigung Grenzen anzuerkennen, ist wichtiger als die Konfrontation mit Grenzen, deren Legiti-mation ich nicht erkennen kann. Diese Fähigkeit, Grenzen anzuerkennen ist ein entscheidendes pädagogisches Element der Autorität.

Das setzt voraus, dass Erziehende Autorität besitzen. „Hat“ man diese oder entwickelt man sie?

Das ist eine Mischung. Man entwickelt, verhandelt Autorität. Gerade die sozialen Elemente der Autorität weisen darauf hin, dass ich in bestimmten Situationen  Autorität haben kann und zeigen muss, ich gleichzeitig aber in anderen Situationen andere Autorität anerkennen muss. Dass ich als Chirurg über das Leben von Menschen „entscheiden“ und ein Team dirigieren kann, legitimiert noch lange nicht, dass ich im Restaurant die Kellner oder zuhause die Familie herumkommandiere. Dennoch passiert das oft. Bestimmte Kontexte erfordern geeignete Autorität.

Ja, wir brauchen ein Abkommen über die Natur, die Absichten und die Grenzen dieser Autorität.

Brauchen Lehrende dann eine besondere Art von Autorität?

Ja! Sie setzt sich aus komplexen Elementen zusammen. Zunächst brauchen Lehrer/innen Sach-kompetenz. Dazu kommt die Autorität im zwischenmenschlichen Bereich. Es genügt nicht zu sagen: „Ich weiß mehr als du!“, man muss das Wissen auch vermitteln können. Schließlich haben Lehrpersonen auch eine gesellschaftliche Autorität.  Sie sind nicht nur Verwalter von Wissen und Kultur, sondern auch verantwortlich für den Stellenwert dieses Wissens in der Gesellschaft. Diese soziale Verantwortung wird leider viel zu wenig in Betracht gezogen.

Für den Lehrberuf braucht es also eine besondere Eignung, die nicht jeder/jede a priori hat. Wie wählt man aber aus?

Das ist die entscheidende Frage, mit der wir gerade in diesen Wochen mit der Auswahl unserer Studentinnen und Studenten konfrontiert werden. Hier geht es um sehr delikate Fragen. Wir müssen abwägen, ob die Fähigkeit, sich Wissen anzueignen mit bestimmten Persönlichkeits-merkmalen zu kombinieren ist. Ich glaube, es gibt eine Grenze. Wir können den Lehrberuf Men-schen mit bestimmten manifesten Persönlichkeitsproblemen nicht zumuten, so wie wir einen Epileptiker nicht als Busfahrer beschäftigen können. Man muss allerdings jede Vorsicht walten lassen, um diese Maßstäbe nicht diskriminierend anzuwenden. Menschen sind auch entwicklungs-fähig. Abgesehen von diesen Grenzfällen geht es uns hauptsächlich darum, eine große Variations-breite von Persönlichkeiten in den Lehrberuf zu rekrutieren. Es gibt nicht eine alleinige, maßgeb-liche Persönlichkeitsstruktur. Fachkenntnisse, Lebenserfahrung, eine starke Persönlichkeit und die Fähigkeit, aus Schwächen zu lernen, sind pädagogische Grundkompetenzen. Ich glaube, dass unsere Ausbildung an der Uni genau darauf abzielt.

Persönlichkeitsbildung muss also ein explizites Ziel der Lehre an der Uni sein?

Absolut! Allerdings stelle ich manchmal mit Bedauern fest, dass sie in pädagogischen Programmen manchmal nur inoffiziell vorkommt.

Die Universität ist also noch zu kopflastig?

Das beobachte ich gerade im Übergang von bestimmten universitären Kulturen in verschiedenen europäischen Ländern. Auch hier in Italien.

Der Autoritätsbegriff hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Haben Jugendliche deswegen häufiger Probleme mit Autoritäten?

Für Jugendliche ist es heute besonders schwierig, einen verlässlichen Zugang zum Thema Autorität zu bekommen, weil sich historisch/gesellschaftlich der Umgang damit sehr stark gespalten hat. Einerseits gibt es eine Tendenz, Autorität in Eigenverantwortung aufzulösen. Wir haben einen starken Kulturwandel erlebt, der die Eigenverantwortung stärker betont. Da stecken auch histo-rische Entwicklungen dahinter, etwa die Wende von 1989. Jede/r entscheidet für sich selbst, trägt aber auch die Verantwortung dafür, was er/sie aus dem eigenen Leben macht. Gleichzeitig erleben wir aber auch eine Wiederbelebung äußerer Autoritätsstrukturen, so erstarken fundamentalistische Positionen im religiösen Bereich zunehmend. Auch bestimmte politische Tendenzen weisen in Richtung verstärkter Disziplin, Leitkulturbildung. Durch diese starke Ambivalenz fühlen sich Jugend-liche verwirrt, alleine gelassen.

Diese Unsicherheit betrifft auch Lehrerinnen und Lehrer. Der Bildungsbegriff hat sich ebenso stark gewandelt. Lehrkräfte sind weniger „Eintrichterer“ als Begleiter. Wird der Autoritätsbegriff dadurch nicht obsolet?

Hier kommt zum Tragen, was ich als fundamental für diesen Autoritätsbegriff halte, nämlich die Tragfähigkeit eines bestimmten Geltungsanspruches. Man kann jungen Menschen Inhalte nicht diskussionslos vorsetzen. Das hätte schwerwiegende Auswirkungen, auch auf die gesellschaftliche Entwicklung. Die Autorität der Fakten ist ein falscher Wahrheitsbegriff, weil er sich dem kritischen Hinterfragen entzieht. Lernende müssen die Fähigkeit üben, kritisch mit Autoritäten umzugehen. Mit dem Rückzug aus der Diskussion gelangen bestimmte Regime an die Macht. Autoritäten müssen sich im Gegenteil bewusst einer Debatte stellen.

Sie sprechen auch die Autorität der Wissenschaft an. Welche Autorität hat die Freie Universität Bozen in Südtirol?

Wenn die Universität zu einem Tempel der absoluten Wahrheit würde, gäbe ich mein Amt sofort auf. Die Autorität einer Universität besteht nicht darin, Antworten auf Anfrage zu liefern. Sie hat die Aufgabe, Argumente zu liefern, mit denen dann eine Diskussion um die Wahrheit geliefert werden kann. Das ist unser ureigenster Auftrag.

Im Frühjahr 2010 gab es gewisse Reibungen, Diskussionen zwischen Ihnen als Rektor und Studierenden der Uni Bozen. Ist das dann der richtige Weg?

Ich hatte diese Diskussion mit meiner Stellungnahme in einem Artikel der „ff“ nicht beabsichtigt. Aber ich begrüße sie! Ich hätte sie gern schärfer und ausführlicher geführt. Es war dennoch ein wichtiger Faktor in der Entwicklung unserer internen Beziehungen.

Sind die Südtiroler/innen autoritätshörig?  Die übergroße Bedeutung der Titel in unserer Gesellschaft mag etwa ein Indiz dafür sein.

Der Grad der Faszination an der Autorität, der hier zu spüren ist, unterscheidet sich nicht wesent-lich von dem in anderen Gesellschaften, er drückt sich nur etwas anders aus. Was hierzulande die Titel sind, bedeuten anderswo die Anzahl der Fernsehauftritte oder der Klicks auf Webseiten, die Menge der Freunde auf facebook.

Südtirol ist geprägt von sehr unterschiedlichen Positionen der Autorität gegenüber. Wir finden eine ungeheure Bandbreite von Einstellungen zu Werten in der Gesellschaft. Hier leben Menschen, die in einer völlig anderen Welt aufgewachsen sind, denken wir etwa an die große Armut noch in den 60er Jahren. In manchen zu Luxushotels umstilisierten Bauernhöfen steht noch der Großvater hinter der Theke, der in eine andere Gesellschaft hineingeboren wurde. Unterschiedliche Sprach- und Kultur-welten treffen aufeinander, die sich zudem nicht synchron verändern. Das charakterisiert Südtirol als ein sowohl ungewöhnlich stark in traditionellen Werten und Autoritätsstrukturen verhaftetes Land als auch ein erheblich postmodern orientiertes Land. Die neuesten Einflüsse, globale Trends haben einen rapiden Transformationsprozess eingeleitet. Darin steckt die Gefahr, panikmäßig nach festen Werten zu suchen. In dieser Pluralität kann Verlässliches durch Kommunikation, Austausch, Verhandlungs- und Vertragsfähigkeit etabliert werden.

Inmitten dieses Spannungsfeldes stehen Sie als Rektor einer komplexen Institution. Sie haben sich einmal selbst als einen „Kommunikator, der eine ziemlich zersplitterte Organisation zusammen-führen will,“ bezeichnet. Gelingt Ihnen das?

Ich nehme mit einiger Genugtuung wahr, dass sich die Wellen der Kontroversen, die ich ererbt habe, etwas geglättet haben bzw. dass sich die Auseinandersetzungen, die ja zum Wesen einer solchen Institution gehören, mehr auf zentrale Aspekte als auf persönliche und ideologische Themen beziehen. Das ist das Resultat eines kommunikativen Herangehens an Konflikte. Dass Universitäten andernorts anders geführt werden, ist mir bewusst.

Sie kommen aus der Sozialwissenschaft, der Dekan der Bildungswissenschaftlichen Fakultät Franz Comploi aus der Musik. Die Uni in Innsbruck wird mit Karlheinz Töchterle von einem Altphilologen geleitet. Diese Disziplinen sind nicht gerade bekannt dafür, Konzernchefs hervorzubringen. Ist das ein neuer Trend?

Ich glaube nicht, dass hinter unseren Ernennungen größere gesellschaftliche Veränderungen stehen. Ich finde es aber doch beachtlich, dass diese regionalen Einrichtungen unseren akademi-schen Wissenschaftsbereichen Achtung schenken und dass die Gesellschaft bereit ist, sich nicht an bestimmte Trends anzuheften. Hier entwickelt sich eine gewisse Autonomie, ein gewisses Selbst-bewusstsein, gegen den Strom zu schwimmen. Wir wissen noch nicht, ob dies eine Trendwende bezeichnet, aber zumindest trägt es zur Vielfalt bei.

Wer ist für Sie in der Geschichte die Person mit der größten Autorität?

Ich glaube nicht, dass Geschichte von großen Persönlichkeiten gemacht wird. Als Sozialwissen-schaftler gehe ich eher davon aus, dass große Persönlichkeiten in der Geschichte Träger einer bestimmten kollektiven Wertestruktur sind. Sie stehen auf den Schultern ihrer Mitmenschen. Ich widerspreche mir in gewisser Weise, wenn ich Mahatma Ghandi als Persönlichkeit nenne, die nicht nur Träger, sondern auch Auslöser bestimmter Entwicklungen war.

Danke für das Gespräch!

Das Interview führte Chefredakteur Johannes Kofler

 

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