"Die Welt ist flach geworden."

Peter Frey referiert auf der Großtagung von ASM und KSL über Werte

Je ungewisser die Zeiten um so größer ist das Bedürfnis nach Orientierung. Doch wer soll Werte vorgeben, wer sind die Vorbilder? Peter Frey versuchte in seinem Referat in Bozen und Brixen  eine Antwort zu geben auf Fragen, welche Bedeutungen Wurzeln und Bindungen auch für die Erziehung von jungen Menschen heutzutage haben.

 

                                                                                               von Rosa Monika Laimer

Peter Frey ist seit 1. April Chefredakteur des ZDF und durch die Moderation der Politsendung „Berlin direkt“ auch in Südtirol bekannt.

 „Niemand kann heute Werte vorschreiben!“ Peter Frey nimmt gleich vorweg, dass sich die Zuhörer/innen keine fertigen Antworten auf schwierige Fragen der Zeit  zu erwarten hätten. Vielmehr sehe er als Journalist seine Aufgabe darin, zu hinterfragen und dadurch die Entwicklung einer Gesellschaft voranzutreiben.

 „Vieles ist in Auflösung: Familie, Kirche, politische Organisationen und gesellschaftliche Gruppen haben an Glaubwürdigkeit verloren und immer weniger Menschen werden durch Wertevorgaben erreicht. Es ist für Parteien kaum mehr möglich, über 40% der Wählerschaft für sich zu gewinnen. So ist der Einzelne mehr auf sich gestellt als früher und diese Spannungen gilt es auszuhalten.“

 

Es gibt neue Werte

 

Pessimismus sei jedoch nicht angebracht. Peter Frey stellt dem Verlust eine neue Werteentwicklung und neue Empfindsamkeiten gegenüber. Die Welt sei nähergerückt: „Viele Menschen verfolgen das Schicksal der eingeschlossenen Bergkameraden in Chile als seien es ihre Nachbarn, die Welt hat für Haiti gespendet und stellt Geldmittel für die Flutopfer in Pakistan zur Verfügung - dank einer globalisierten Nachbarschaft, einer Globalisierung des Mitgefühls, das uns zu Bürgern dieser Welt werden lässt. Ermöglicht wird das alles durch die Medien.“

Diese Anteilnahme beeinflusse die politischen Verhältnisse in den Ländern, deshalb dürfe es uns nicht gleichgültig sein, was dort geschehe.

Aufgrund des neuen Weltbewusstseins verändert sich – so Peter Frey - das eigene Gefühl für Nähe und Ferne. Wir bewegen uns hinein in neue Identitäten, allerdings sei die Begegnung mit dem Fremden früher tiefer gewesen. „Die Welt ist flach geworden“, so formuliert es  Thomas L. Friedman, ein amerikanischer Journalist.

„Die elektronischen Medien bringen uns die Welt nach Hause und umgekehrt das „zu Hause“ in die Welt und geben uns das Gefühl, überall daheim zu sein. So entsteht die Frage, ob wir uns mit dem Fremden überhaupt noch einlassen. Umgekehrt sind auch Migranten in der westlichen  Kultur zwar physisch präsent, in den Köpfen sind sie dort, wo sie zu Hause sind: in Pakistan, in der Türkei und vielerorts anderswo. Die Frage der Integration wird zu einer der wichtigsten in der Zukunft sein.  Dazu kommt, dass wir in unterschiedlichen Geschwindigkeiten leben. Es gibt viele Gruppen, die sich der elektronischen Hilfsmittel bedienen, aber auch viele, die die Kapazität nicht haben, die Kenntnisse umzusetzen und das führt dazu, dass wir unterschied-liche Modernisierungsgrade aufweisen, die Spannungen, Ängste und Konflikte erzeugen.“

Gleichzeitig – so Peter Frey – führt die Globalisierung zu einem neuen Effekt: die Bindekraft der National-staaten wird zurückgedrängt, neue regionale Identitäten gewinnen an Bedeutung. Die Menschen suchen Gestaltungsmöglichkeiten und Halt in der Nähe.

Den Weg in die Mitte gefunden

 Ein Umdenken habe auch in der Gesellschaftsstruktur stattgefunden. „Das ursprüngliche Bild der Familie hat sich gewandelt. Wir stehen vor einem neuen Begriff von Bindungen und Beziehungen und gehen mit größerem Respekt auf Lebensentwürfe von Individuen zu. Neue Werte hätten lange schon den Weg in die Mitte gefunden, man denke an die Lebenswirklichkeit von Spitzenpolitikern, in denen Scheidungen und Homosexualität so selbstverständlich sind wie im Rest der Gesellschaft. Bei Mann und Frau ging es am Ende nicht nur um die Emanzipation der Frau, sodass auch die Männer zu einer neuen Rolle finden konnten. Die Väter übernehmen heute Aufgaben in der Kindererziehung – es ist ein Wert, Vater zu sein. Ein Indiz für einen neuen Wert sieht Frey auch in einem neuen Verständnis für ökologisches Denken und für Heimat. „Ein Beispiel ist der Denkmalschutz. Nach den Verwüstungen des 2. Weltkrieges in Deutschland und der Grundhaltung, so viel wie möglich abzureißen, ist man zu dem Bewusstsein gelangt, dass Baudenkmäler der Vergangenheit mit Heimat zu tun haben und dass wir sie erhalten müssen, weil sie Halt geben. Es ist ein Wert, an Altem festzuhalten. Die ökologische Bewegung, die sich aus einer Protestbewegung der 70er-Jahre entwickelt hat, ist nun gesellschaftlich verankert. Heute sind alle Parteien so grün wie früher die Grünen selbst. Man erinnert sich der Verfolgungen des Faschismus und Nationalsozialismus. Es gibt in der letzten Zeit viele Schulklassen, die sich mit der Vergangenheit beschäftigen, mit den Spuren von Vertreibung und Entwurzelung. Es gibt eine neue Erinnerungskultur, die trotz der schwierigen Geschichte nun nicht mehr polarisiert, sondern Identitäten schafft.“ Zur Neudefinition von Werten gehörten allerdings auch neue Egoismen, die dem langjährigen Konsens des gesellschaftlichen Ausgleichs widersprechen. So werde Besitz als Indikator des Erfolgs angesehen und Menschen würden wie Sachwerte behandelt: „Mein Haus, meine Frau, mein Boot“, wie es in der Werbung heißt.

Wenn man von Werten spricht – so Peter Frey – muss man auch von Respekt und Verantwortung sprechen. Verantwortung tragen heißt auch Antwort geben. Frey spricht auch von der Verantwortung der Medien. „Wir müssen Antwort geben auf die Fragen und Lehrkräfte auf die Fragen von Kindern.“

Peter Frey spricht nicht nur über Werte, er lebt sie auch. Er verzichtet auf das Honorar für seine Auftritte. Dieses wird als Spende für einen guten Zweck verwendet: die Hälfte des Geldes geht an die Malteser Migranten Medizin in Deutschland, die andere Hälfte wird der Migrantenberatung „Chance“ in Meran überwiesen.

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