„Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern
bekommen: Wurzeln und Flügel“.
(Johann Wolfgang von Goethe)
Ich
möchte einige Überlegungen mitteilen, die in meinen Augen von großer
Bedeutung für das Zusammenleben mit den eigenen Kindern sind.
Ich erlaube mir das im Vertrauen darauf, Ihr Herz zu erreichen und Ihren
Verstand anzusprechen. Ich bitte Sie über meine Beobachtungen nachzudenken und
Ihre eigenen Schlüsse zu ziehen, Ihre eigenen Erziehungslinien immer wieder zu
überdenken und immer wieder zu überprüfen.
Die
Wahrheit sagen
Kinder
müssen sich in der Welt orientieren lernen. Sie sind darauf angewiesen, dass
ihre wichtigsten Bezugspersonen ehrlich zu ihnen sind, dass deren Äußerungen
wahr, verlässlich und von Bestand sind. Wenn Kindern mit leeren Drohungen,
Bluffs, Zynismus, Ironie begegnet wird, kann sie dies zutiefst verunsichern. So
wird ein momentaner Erziehungserfolg erzielt, dauerhaft aber jede Sicherheit,
jedes Vertrauen, jede eigene Autorität aufs Spiel gesetzt, manchmal sogar
verloren.
Nicht
alles sagen
Kinder
dürfen nicht mit allem, was vorfällt, völlig ungefiltert und schonungslos
konfrontiert werden. Nicht jede Gefühlsregung, jede Auseinandersetzung, jeder
Streit, jede Abwertung muss vor Kindern geäußert werden. Es gibt vieles, was
Kinder emotional oder intellektuell überfordert. Daher ist abzuwägen und zu
bedenken, was vor Kinderaugen getan und vor Kinderohren gesagt wird.
Freiheiten
gewähren
Kinder
müssen sich bewegen dürfen, sie müssen sich erproben dürfen, sie brauchen
Freiraum und Freizeit. Das bedeutet, dass Kinder und Jugendliche auch
unverplante, unstrukturierte Zeit brauchen, um sich zu entdecken, um sich zu
langweilen, um sich selbst zu begegnen.
Erfahrungen
ermöglichen, Fehler zulassen
Jedes
Kind muss eigene Erfahrungen machen dürfen. Auch wenn Eltern durch ihre
Lebenserfahrung wissen, wie etwas ausgeht, müssen es die Kinder in der Regel
selbst erleben, um es tatsächlich zu wissen. Dies gilt insbesondere für körperliche
Erfahrungen, für das Anstoßen und Hinfallen, für Schmerz, für den Umgang mit
Wasser, Feuer, der Erdanziehungskraft, für den Umgang mit Ecken und Kanten.
Das Erleben von Fehlern und Enttäuschungen hilft Kindern bei ihrer
Orientierung, hilft ihnen bei der realistischen Einschätzung ihrer Kräfte und
ihres Könnens.
Grenzen
zeigen, stimmig bleiben
So
wie Kinder Freiräume, Freiheiten, selbst verwaltete und selbst gestaltete
Bereiche brauchen, so sehr brauchen sie klare Grenzen. Sie fordern Verbote
heraus, die sich zum Teil aus Notwendigkeit ergeben, auf jeden Fall aber für
Kinder von großer Wichtigkeit sind. Grenzen geben den Kindern Halt,
Orientierung, Struktur und Kontur. Kinder, die sich selbst immer durchsetzen,
deren Launen und Bedürfnissen immer nachgegeben wird, sind auffallend
willensschwach, wenn sie sich einer Aufgabe oder einer Herausforderung stellen müssen.
Der Wille, der eine psychische Kraft ist, formt sich an den Widerständen, an
den vielleicht wenigen, aber eindeutigen, immer gleichen Verboten der
Erwachsenen. Er formt sich an den familiären, schulischen, gesellschaftlichen
und gesetzlichen Regeln, die einzuhalten sind. Er muss wachsen und ausgebildet
werden wie alle Fähigkeiten.
Verlässlich,
verbindlich sein
Kinder
müssen darauf zählen können, dass das, was angeblich gilt, auch tatsächlich
gilt. Neben den Gefühlen, Emotionen und Befindlichkeiten, die schwankend und
wandelbar sein mögen, braucht ein Kind viele verlässliche, dauerhafte Tatbestände,
Sachverhalte, Regelungen, um sich orientieren zu können, um die nötige
Sicherheit zu haben.
Vorbildwirkung kennen
Eltern
und Lehrpersonen müssen sich darüber im Klaren sein, dass ihr Beispiel immer
als Muster dient, immer auch Modell ist. Wie immer sich die zentralen Figuren
verhalten, ein Kind wird von seinen Bezugspersonen lernen. Gerade die Werte, die
Haltungen, die Grundeinstellungen zum Leben, zur Welt, zu den anderen und zu
sich selbst vermitteln wir unseren Kindern auf prägende Weise, und darüber
sollten sich alle Erwachsenen im Klaren sein.
Verantwortung
übernehmen und übernehmen lassen
Es
gibt Fragen und Bereiche, die Eltern für ihr Kind entscheiden müssen, weil das
Kind die Auswirkungen und die Folgen noch nicht abschätzen kann. (Wann ist es
Zeit, zu Bett zu gehen, wann soll ein Arzt geholt werden, welche Schule soll gewählt
werden, etc.)
Es gibt andererseits Bereiche, die ein Kind seinem Alter entsprechend sehr
selbständig gestalten und handhaben kann. (Schultasche tragen, Schultasche
packen, Kleidung wählen etc.) Dabei ist das Alter des Kindes zu bedenken, aber
auch genau zu überprüfen, was das Kind tatsächlich zu leisten imstande ist.
Verwöhnung und Überbehütung sind meiner Beobachtung zufolge genauso schädlich
wie Überforderung und Verwahrlosung.
Bereiche, Zuständigkeiten klären
Es
ist in meinen Augen sehr wichtig, dass Zuständigkeiten geklärt und respektiert
werden. Dies gilt für alle Familienmitglieder, aber auch für die Lehrpersonen.
Die einzelnen Menschen begegnen sich in der eigenen Rolle. Diese Rollen sind mit
verschiedenen Aufgaben und Zuständigkeiten verbunden. Es ist meiner Überzeugung
nach sehr hilfreich, wenn sich alle Beteiligten darüber im Klaren sind, wer was
zu erledigen hat, wer welche Entscheidungen zu treffen hat, wer wofür die
Verantwortung trägt. So sind Eltern für Ernährung, Kleidung, die Hygiene, die
Organisation des Alltags, sowie für ausreichend Schlaf und Bewegung, für
Kontakte und die „Kinderstube“ verantwortlich. Die Auswahl und die
didaktische Aufbereitung von Lerninhalten und die Bewertung sind hingegen im
Zuständigkeitsfeld der Lehrkräfte und dies sollte den Kindern auch so
vermittelt werden.
Strukturen,
Rituale, Fixpunkte schaffen
Damit
eine Gemeinschaft gelingt, damit diese ein Gesicht, eine Form erhält, braucht
sie Struktur, braucht sie Rituale, Feste und allen Mitgliedern bekannte
Vorgangsweisen. Dies ist für jede Form der Gemeinschaft wichtig. Im Umgang mit
Kindern kann es das Vorlesen vor dem Zubettgehen sein, das gemeinsame
Mittagessen, eine ganz bestimmte Torte zu einem ganz bestimmten Anlass, der
Besuch von …………. Es geht darum, dass Kinder und ihre Bezugspersonen an
den eigenen Ritualen ihr Zusammensein erleben und ihr Zueinandergehören
erfahren.
Wertschätzung
zeigen
Es
ist wichtig, Kindern mit Wertschätzung zu begegnen, einfach weil sie da sind,
weil sie sind, wie sie sind. So erfahren Kinder, dass es gut ist, in dieser Welt
und bei uns zu sein.
Ich
wünsche allen ein gelingendes Schuljahr 2013 – 2014
Die
Schuldirektorin
Brigitte Öttl
Meran,
am 05. September 2013