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  Lernprogramme
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Lernprogramme überschwemmen den Markt und sind auch kostenlos im Internet zu finden. Sie entsprechen einer weit verbreiteten Alltagstheorie vom Lernen.

 

 

Aber entscheiden Sie selbst,
was Lernprogramme leisten können?

 

     
Hier ein "Muster"
für den Ablauf einer möglichen Interaktion in einem Lernprogramm
  Nach Einschalten des Rechners erscheint nach einigen Tasten-Drucken die erste Übung auf dem Bildschirm. Etwa: "27 + 48 = ....".
An Stelle der Pünktchen blinkt der Cursor solange, bis eine Zahl eingetragen wird.
Schreibt man 75 ein, so gibt der "Computer" eine Belobigung etwa in Form von Text, Bild oder Ton und eine neue Aufgabe. ....
Schreibt man aber 65 ein, so gibt der "Computer" (hoffentlich!) eine zielgerichtete Hilfe zum "Zehner" und erlaubt erneut zu antworten.
Ist die eingetragene Zahl nun richtig, so siehe vorher. Ist sie wieder falsch, so gibt der "Computer" in der Regel die richtige Antwort und eine neue Aufgabe. Und das Ganze ist heute mit viel schrillen Tönen, bunten Bildern und Trallala-Geschichten verbunden.
     
Können Übe- und Lernprogramme gut sein?
     

Keine Frage: Üben ist notwendig

Übe-Beispiel:
Rechensätze









Ableitung von
"Wurzel aus x"

 

Aber: Was geschieht eigentlich beim Üben? Vor einem Anwortversuch soll der Problemgehalt der Frage noch etwas weiter verdeutlicht werden.
Nehmen wir als erstes Übe-Beispiel das der Rechensätze. Niemand wird bestreiten, dass Sätze wie "sieben und acht ist fünfzehn" oder fünf mal fünf ist fünfundzwanzig" sozusagen wie im Schlaf gekonnt sein sollten. Hierzu eine erste Testfrage an alle Menschen, die älter als 8 Jahre und keine Grundschullehrerin sind. Was ist sieben mal neun? Die meisten Menschen antworten nicht unmittelbar und spontan. Sie reproduzieren im "Reden mit sich selbst" wie folgt oder ähnlich: sieben mal neun ..äh.. neun mal sieben ..äh.. zehn mal sieben ..äh.. siebzig minus sieben; ach ja: dreiundsechszig! Nun aber auch noch eine Testfrage an alle Grundschullehrerinnen. Was ist die Ableitung von "Wurzel aus x"? Ohne Zweifel müssten die Ableitungen mindestens reproduzierbar da sein, denn sie sind mindestens ein Jahr lang vor dem Abitur eingeübt worden!
Nehmen wir als zweites Beispiel das Üben von nicht-kognitiven Sachverhalten, nämlich das Autofahren. Nicht-kognitiv bedeutet hier nicht, dass das Großhirn nicht beteiligt ist, wohl aber in anderer Weise als bei den Rechensätzen. Und hier wieder zwei Fragen: Warum verlernen wir beim Autofahren nicht zu bremsen, wenn Rot vor uns aufleuchtet? Erstens weil wir es tagtäglich tun. Wir bleiben in Übung, genau wie es die Grundschullehrerinnen sind, die fast täglich sagen müssen: "Sieben mal neun ist dreiundsechzig." Zweitens aber weil grundlegende Bewegungsabläufe wesentlich im Kleinhirn "verankert" sind.
Beim Behalten von geübten Sachverhalten spielt also die Regelmäßigkeit des Tuns und der Speicher-Ort eine Rolle. Es sollte schon jetzt klar sein, dass Rechensätze nicht "wie im Schlaf" oder "wie das Autofahren" gekonnt sein können.

     

Geübte kognitive Sachverhalte hinterlassen im Großhirn ihre "Spuren"

 

Kognitive Sach- und Sinnverhalte aktivieren und hinterlassen nach ihrer (mehrfachen) Wahr-Nehmung im Großhirn eine "breite Spur"! In Positronen-Emissions-Tomographien (PET) lässt sich zeigen, dass im Großhirn beim Hören eines Wortes große und teilweise nicht zusammenhängende Bereiche, beim Sprechen eines Wortes andere aber wiederum große und teilweise nicht zusammenhängende Bereiche und beim Ausdenken eines Wortes wieder andere aber wiederum große und teilweise nicht zusammenhängende Bereiche aktiviert werden.



Beim gleichzeitigen bewussten Hören, Sprechen und Ausdenken (Interpretieren) überlappen sich aber die aktivierten Bereiche gegenseitig und werden dadurch zusammenhängend. Spuren von Zusammenhängen bleiben dabei erhalten, die später ein ein Reproduzieren erleichtern. Ergänzend wird auf weitere Erkenntnisse aus der Hirnforschung verwiesen.
Die bisherigen Überlegungen erlauben nun, aufgeklärter zu fragen: Wie lässt sich erreichen, dass durch Üben die bereits gelernten kognitiven Sach- und Sinnverhalte längerfristig und (nachhaltig) behalten werden?
Üben ist zunächst nicht anderes als ein wiederholtes Lernen. Beides, Üben wie Lernen, sind konstruktive Lernprozesse. Üben als wiederholtes Lernen, sollte also in immer wieder anderen Zusammenhängen stattfinden. Das Lernparadigma ist nicht aufteilbar nach Lernen und Üben.

     
Lernprogramme fördern ein isoliertes Üben in kleinen Schritten  

Lernprogramme bieten einen multimedial aufbereiteten, programmierten Unterricht auf der Basis von operationalisierten Feinlernzielen in einer teacher-proof-Umgebung.
Der "programmierte Unterricht" ist eine überholte Theorie. Alle in den 60er Jahren angebotenen Lernprogramme in Buchform sind Ende der 70er Jahre wieder vom Markt verschwunden. Heute leben sie "multimedial" neu auf.

     
Und doch gibt es Erfolgsmeldungen zum Üben mit Programmen  

Sicher kann man zunächst sagen, Lernprogramme schaden nicht. So wie auch der programmierte Unterricht oder die Sprachlabore nicht geschadet haben. Aber die Antwort ist nicht zufrieden stellend. Daher sollen nun drei Typen von Erfolgsmeldungen kurz diskutiert werden.
"Es macht Spaß", ist eine viel geäußerte Erfolgsmeldung.
Aber der Spaß bezieht sich auf das neuartige Gerät und nicht unbedingt auf die Inhalte des Lernprogramms. Wird entdeckt, dass es doch wieder die alte kleinschrittige, isolierte Paukerei ist, ebbt der Spaß erheblich ab. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Sie wurde bereits in den 70er Jahren mit dem programmierten Unterricht gewonnen.
Wird unmittelbar nach dem Durcharbeiten eines Lernprogramms genau das getestet, was im Programm lernbar war, dann ist dieser Test in der Regel sehr erfolgreich.
Aber ein Wiederholungstest nach einiger Zeit zeigt, dass dieses Wissen schnell verderblich ist.
"Das Programm schimpft und straft nicht und bleibt geduldig." Hinter dieser Aussage verbergen sich negative Lernerfahrungen. Etwa die: "meine Mutter schreit immer sofort, wenn ich etwas nicht kann." Also im Einzelfalle können Lernende mit Lernprogrammen wieder Zutrauen zur eigenen Leistungsfähigkeit finden, wenn die aufgebaute Lernblockade "Mensch" fortgenommen wird.

     

Isoliertes Üben führt nicht zu stabilen Behaltensleistungen

 

'Sieben mal neun gleich dreiundsechzig', 'sieben mal neun gleich dreiundsechzig', ..., aktiviert je nach Akzentuierung des Lernenden nur einen ausgesprochen kleinen Bereich im Großhirn, manchmal nur den des mit sich selbst Sprechens. Üben in der Form von kleinen und isolierten Häppchen aktiviert im Gehirn in der Regel voneinander isolierte Bereiche. So lässt sich verstehen, dass diese Übe-Methode keinen dauerhaften Erfolg hat, dass sie aber auch nicht schadet und manchmal sogar kurzfristig hilft.
"Einhämmern", Pauken und Bimsen sind ein Üben von isolierten Ausdrücken, Vokabeln, Fakten und Aussagen ohne jeglichen Sinn- und Sachzusammenhang. Dass aber in Zusammenhängen länger behalten wird, ist so unbekannt nicht. Denn immer schon gab es sogenannte Eselsbrücken, wie: "333 bei Issus Keilerei", "wer nämlich mit h schreibt ist dämlich" oder "URI (für UxR=I)" oder Mnemotechniken für das Behalten von Geschichten.
Erinnern wir uns hierzu auch an die obige Reorganisation von "sieben mal neun ist dreiundsechsig". Das Ergebnis wurde in der Gesamtstruktur des Einmaleins (hier: Tauschregel und Nachbaraufgabe ...), also in einer Metastruktur erinnert. Solche Strukturen aktivieren im Großhirn viele Bereiche. Gibt es unter den aktivierten Bereichen bereits Verbindungen oder können sie aktuell aufgebaut werden, weil es so geübt worden ist, so kann das Ergebnis ohne Nachschlaghilfe rekonstruiert werden, wenn es nicht bereits unmittelbar verfügbar war.
Das Ergebnis der bisherigen Überlegungen lautet also: Soll Gelerntes längerfristig reproduzierbar sein, so muss es in Sinn- und Sachzusammenhänge einbettet geübt werden. Und zwar muss es immer wieder sowie in anderen Sachzusammenhängen geübt werden. Dann gibt es eine berechtigte Hoffnung, dass auch noch nach längerer Zeit die im Großhirn aktivierten Bereiche zusammenhängend sind oder gemacht werden können und dann auch das Geübte rekonstruiert werden kann. Solche Zusammenhänge können für die einen in logischen für die anderen in situativen und wieder für andere in anwendungsbezogenen Sach- und Sinverhalten stecken. Die Denkschrift: "Bildung der Zukunft - Zukunft der Schule" spricht vom "intelligenten Wissen".

     
Beispielhaft sind Übe-Medien dann, wenn sie als Lernumgebung gestaltet sind  

Grundsätzlich müssen Lernumgebungen (learning environments) für individuelles Üben so gestaltet sein, dass

  • die Aktionen immer vom Lernenden ausgehen und dafür auch Selbstverantwortung übernommen werden kann (also selbstbestimmt und nicht fremdbestimmt),
  • ein wiederholtes Lernen (derselben Sache) immer wieder in anderen komplexen Sinn- und Sachzusammenhängen ermöglich wird (also eigenaktiv konstruktiv und nicht instruktiv isoliert und in kleine Häppchen zerlegt) und
  • ein "Sprechen mit sich selbst" angeregt und gefördert wird (also kommunikativ und nicht bimsend).

Dann besteht die Hoffnung, dass mit Unterstützung dieser Medien das Üben zu einem längerfristigen Behalten führt und das Geübte produktiv werden kann. Aber auch solche beispielhaften Lermedien bewirken nichts von selbst, auch sie sind keine Nürnberger Trichter.

     
"Üben in kleinen Schritten" ist eine ungünstige, aber weit verbreitete Alltagstheorie  

Die Lernmethode des kleinschrittigen Lernens und Übens ist weit verbreitet. Viele Menschen haben verinnerlicht, dass man so lernt. Wen wundert es also, dass heutige Programmiererinnen und Programmierer genau diese Methode in "neuen" Lernprogrammen abbilden? Wen wundert es, dass die meisten Eltern mit dem Wort "üben" kleinschrittiges Drillen assoziieren? Wen wundert es, dass es Lehrerinnen und Lehrern schwer fällt, sich auf eine andere Form des Lernens und Übens einzustellen? Wen wundert es also schließlich, dass Programme, die nach dem Strickmuster des Programmierten Unterrichts konstruiert worden sind, auch gekauft werden?
Jede Alltagstheorie enthält aber auch einen Kern von Wahrheit. "Üben in kleinen Schritten" meint auch, dass auf bereits Bekanntes aufzubauen ist und man Lernende dort abholen sollte, wo sie stehen. Genau diese Vorstellungen bleiben auch in neueren Lerntheorien gültig.
Verwiesen sei auch auf Erfahrungen aus der Kognitionsspychologie, wonach die Einschaltung mehrerer Sinneskanäle beim Lernen und Üben bedeutungsvoll ist.

           

© Pädagogisches Institut der deutschen Sprachgruppe - Bozen - 2000